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    Artikel des Monats 
November 2005

    Von der Skepsis zur Wissenschaft

     

    Nach 20 Jahren wird das Chronic Fatigue Syndrome endlich beachtet und mit hochmodernen wissenschaftlichen Methoden erforscht

    von Dorothy Wall[1] 

    Übersetzung aus dem Englischen von Regina Clos

    Es war im Jahr 1984, als Dr. Carol Jessop, damals Professorin in der Abteilung für Innere Medizin der Universität in San Francisco (UCSF), die Patientin zum ersten mal sah, die sie nie wieder vergessen würde. Eine 40-jährige Geschäftsfrau, die immer gesund und aktiv gewesen war, kam mit einer grotesken Geschichte in die Klinik. Während einer Autobahnfahrt wurde sie plötzlich von so überwältigender Übelkeit und Erschöpfung erfasst, dass sie am Straßenrand anhalten musste. "Es war dramatisch," erinnert sich Jessop. "Ich habe soetwas zuvor noch nie gehört - so plötzlich. Diese Frau fühlte sich total ausgelaugt und dem Kollaps nahe."

    Das Rätsel sollte bald noch größer werden. Jessop führte ein paar endokrinologische Labortests durch, überprüfte den Cortisolspiegel der Frau, machte ein vollständiges Blutbild und "siehe da, alle Ergebnisse waren vollkommen normal. Und gleichzeitig geht es ihr jedesmal schlechter, wenn ich sie bei einer Nachuntersuchung sehe. Jetzt hat sie Schmerzen im ganzen Körper, hat ständig Kopfschmerzen, schläft schlecht und fühlt sich gerade so, als hätte sie sich eine Grippe gefangen."

    Jessop war beunruhigt und besprach die Sache mit einem Kollegen der Infektionsabteilung der Universität und einem weiteren in der Endokrinologie. Noch innerhalb des gleichen Monats kamen weitere Patienten mit ähnlichen Geschichten von überwältigendem Krankheitsgefühl und massiver Erschöpfung, Muskelschmerzen, Verwirrung und Konzentrationsproblemen in die Klinik.

    "Viele meiner Kollegen sagten, dass diese Leute wahrscheinlich einfach nur depressiv seien. Und ich solle sie auf trizyklische Antidepressiva setzen," berichtet Jessop. "Ich hatte das untrügliche Gefühl, dass sie meine Arbeit und meinen Versuch, aufzudecken, was da los war, kritisierten."

    Aber Jessop ließ nicht locker. "Es war mir vollkommen klar, dass da etwas Merkwürdiges passierte, und ich war bereit, in jeder Richtung zu suchen." Bis zum Jahr 1986 hatte sie mehr als 300 Patienten mit den mittlerweile vertrauten Symptomen gesehen und in den Städten im ganzen Land gab es Berichte über Häufungen der Erkrankung. Zu diesen sogenannten Clustern gehörte auch der in der Öffentlichkeit sehr bekannte Ausbruch am Lake Tahoe. Sie beriet sich mit dem Virologen der Universität von San Francisco, Jay Levy, der damals an der Entdeckung des HIV-Virus’ arbeitete. Sie und Levy überlegten, ob sie es da mit einem neuen Virus zu tun hatten oder mit etwas Ähnlichem wie AIDS in einer leichteren Form. Sie hatten den Eindruck, dass bei diesen Patienten das Immunsystem irgendwie gestört war.

    Wenn wir einen grippalen Infekt bekommen, dann sind das Fieber, die Gliederschmerzen und die Erschöpfung nicht direkt von dem Virus selbst verursacht, sondern von der Reaktion des Immunsystems und den Substanzen, die ausgeschüttet werden, um die Infektion zu bekämpfen. Vielleicht hatten Jessops Patienten ein Immunsystem, das in der "An"-Position steckengeblieben war und damit diese andauernden grippeähnlichen Symptome erzeugte. Aber welches Virus war es, das diese Störung verursachte? Nachdem man einige potientielle Übeltäter untersucht hatte – u.a. das humane Herpesvirus 6 (HHV-6) und den Epstein-Barr Virus (EBV) – standen Jessop und Levy, genauso wie andere Forscher, jedoch mit leeren Händen da.

    Im Jahr 1988 gaben die amerikanischen Gesundheitsbehörden, die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) der rätselhaften Erkrankung den Namen Chronic Fatigue Syndrome (CFS), als ob es sich dabei um nichts weiter als ein bisschen stärkere Müdigkeit handele. Von dem Moment an, als dieser Name zum ersten Mal gedruckt wurde, schimpften die Patienten, er verniedliche eine verheerende Erkrankung und lade geradezu zu einer psychiatrischen Stigmatisierung ein.

    Bis zum Jahr 1991 hatte Jessop 1.500 Patienten mit CFS untersucht. Damit war die Gegend um die San Francisco Bay eines der größten Cluster der landesweiten Epidemie. Die meisten der Patienten waren über Jahre hinweg krank, manche von ihnen sogar ans Bett oder ans Haus gefesselt, und viele waren nicht in der Lage zu arbeiten. Aber da die Ursache unbekannt war und es keine abweichenden Laborbefunde gab, wurde die Erkrankung von den Ärzten immer wieder als psychiatrisch definiert, traf auf Unglauben bei den Familien und Freunden der Betroffenen und wurde in den Medien als "Yuppie-Grippe" verhöhnt.

    Von dieser ersten Zeit bis heute ist ein langer Weg zurückgelegt worden. Damals nahmen nur ein paar Abweichler wie die Ärztin Dr. Jessop diese Erkrankung ernst. Nach zwei Jahrzehnten hartnäckigen Eintretens für die Betroffenen durch die Patienten selbst und durch eine Handvoll besorgter Mediziner und Forscher kommen die Tatsachen über CFS nun langsam ans Licht. Heute weiß man, dass CFS – auch als Chronic Fatigue and Immune Dysfunction Syndrome (CFIDS) oder Myalgische Encephalopathie (ME) bekannt – eine schwerwiegende und zur Behinderung führende Erkrankung ist, die in den Vereinigten Staaten schätzungsweise 800.000 Menschen betrifft, auch wenn von diesen wahrscheinlich nur 10%-17% eine entsprechende Diagnose bekommen haben.

    Von den CDC durchgeführte Studien zeigen, dass Menschen mit CFS genauso beeinträchtigt sein können wie Menschen mit einer Herzerkrankung, mit Krebs oder Multipler Sklerose und dass CFS durch Produktivitätsausfälle zu wirtschaftlichen Schäden von jährlich 9,1 Milliarden US-Dollar führt. Zwei bis fünf mal mehr Frauen als Männer sind von der Erkrankung betroffen. Und ganz im Gegensatz zu den verbreiteten Mythen haben ethnische Minderheiten und Menschen mit niedrigerem sozio-ökonomischen Status ein höheres Risiko, an CFS zu erkranken.

    Die meisten medizinischen Lehrbücher [in den USA, d.Ü.] enthalten heute einen Abschnitt über CFS, und obwohl die große Mehrheit der Ärzte sagt, sie wüssten nicht genug über die Erkrankung, wollen viele doch wissen, wie sie ihren Patienten helfen können. Jessop sagt über diese Veränderungen: "Ich glaube, heute haben sich die Ärzte mit Fibromyalgie und CFS näher befasst und viele von ihnen fühlen sich weniger unwohl dabei zu sagen: ‚OK, wir wissen nicht alles darüber, aber lasst uns darüber reden, was wir tun können.’."

    Auch wenn die Ursache immer noch nicht bekannt ist, beschäftigten sich die meisten Forscher nicht mehr mit der Suche nach einem einzelnen Virus als Übeltäter. Heute vermutet man, dass CFS eine Reihe verschiedener Auslöser hat, die alleine oder in Kombination auftreten können: einer oder mehrere Krankheitserreger, eine Exposition gegenüber Chemikalien oder Umweltschäden, Stress oder Verletzungen und eine genetische Disposition. Was auch immer der ursprünglich auslösende Faktor war, das autonome, das Immun- und das neuroendokrine System geraten aus der Balance, und diese Dysregulation erzeugt dann die spezifische Konstellation an Symptomen: überwältigende Erschöpfung, Zustandsverschlechterung nach Anstrengung, Muskel- und Gelenkschmerzen, Halsschmerzen, geschwollene Lymphknoten, Überempfindlichkeit gegenüber Licht und Lärm, Kopfschmerzen, geistige Erschöpfung ("brain fog") und kognitive Probleme.

    Wie auch Dr. Jessop war der Kinderarzt David Bell 1985 in seiner Klinik Lyndonville im Staate New York mit einer Gruppe von Patienten konfrontiert, die so etwas wie eine schwere virale Infektion hatten. Er und seine Frau Karen, eine Spezialistin für Infektionskrankheiten, zogen zunächst alles Mögliche in Betracht, von Typhus bis hin zum Q-Fieber, das man damals in den Rocky Mountains gefunden hatte. Auch sie vermuteten eine infektiöse Ursache, aber sie konnten keinen spezifischen Erreger finden. Und auch sie trafen auf Unglauben und Zweifel der Spezialisten, die sie hinzugezogen hatten. Bell sagte: "Die Spezialisten schrieben zurück und sagten, dass alle diese Kinder einfach nur neurotisch seien und die Symptome übertreiben würden – und ich wusste genau, das konnte einfach nicht stimmen." Nachdem Bell 20 Jahre damit verbracht hat, CFS zu behandeln und zu erforschen, hat er ein klareres Bild.

    "Ich betrachte diese Erkrankung als eine post-infektiöse Dysautonomie (als eine Dysfunktion des autonomen Nervensystems). ... Das bedeutet, eine Infektion bringt einen Prozess in Gang, bei dem das Immunsystem übermäßig zu reagieren beginnt. Dieser Prozess verursacht dann eine Abnahme des cerebralen Blutflusses, Anomalien der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse (HPA-Achse – einem entscheidenden Teil des endokrinen Systems) und eine Reihe von anderen Störungen."

    Bells Beschreibung des möglichen Krankheitsprozesses macht die Komplexität der Erkrankung deutlich: ein Immunsystem, das übermäßig reagiert, ein verminderter Blutfluss im Gehirn, Störungen im autonomen Nervensystem, das den Herzschlag und den Blutdruck kontrolliert sowie Anomalien im endokrinen System, das die Produktion von Hormonen reguliert. Im Körper eines Menschen mit CFS sind zahlreiche Dinge aus dem Lot geraten, wobei Störungen in dem einen System das nächste System auch beeinflussen und damit zu einer Kaskade von Wechselwirkungen führen. Um die Sache noch komplizierter zu machen – wahrscheinlich ist der Krankheitsprozess bei verschiedenen Menschen mit CFS auch noch jeweils unterschiedlich. Genauso wie schmerzhafte, geschwollene Gelenke durch eine Infektion, eine Verletzung oder Arthritis verursacht werden können, können die Symptome des CFS das Endergebnis unterschiedlicher Prozesse sein. Die Forscher erkennen zunehmend, dass es wichtig ist, die Patienten in Untergruppen einzuteilen – vielleicht nach ähnlichen Symptomen oder ähnlicher Krankengeschichte oder nach den jeweils vorrangig betroffenen Organsystemen – um sowohl die Behandlung als auch die Forschung effektiver zu gestalten.

    Eines der größten Hindernisse beim Verständnis des CFS ist das Fehlen eines „Gesamtüberblicks", und das hängt direkt damit zusammen, dass von der Regierung nicht genügend Forschungsgelder bereitgestellt werden. Bis vor kurzem noch basierten die meisten Studien auf einer kleinen Studienkohorte, oft waren sie von Patientenorganisationen (mit-)finanziert und jeweils nur auf einen kleinen Bereich der komplexen Störungen bei CFS beschränkt. Die eine Studie mit 36 Teilnehmern zeigte vielleicht die Schwierigkeiten auf, die CFS-Patienten damit haben, mehrere Aufgaben auf einmal zu bewältigen; eine andere Studie mit 121 Personen mit CFS ergab einen niedrigen Cortisolspiegel.

    Wie viele andere auch ist David Bell erzürnt über die mangelnde Beteiligung der US-Regierung an der Forschung. "Die Höhe der für die CFS-Forschung ausgegebenen Gelder ist vergleichsweise unbedeutend. Ich meine, es ist so wenig, dass es einfach nicht zählt, wenn man es mit anderen Krankheiten vergleicht, von denen so viele Menschen betroffen sind wie von CFS." Laut ihrer eigenen Dokumente haben die National Institutes of Health (NIH) im Jahr 2003 99 Millionen Dollar für die Erforschung der Multiplen Sklerose ausgegeben und nur 6 Millionen für die CFS-Forschung, obwohl CFS zweimal so viele Menschen betrifft wie MS. Bell fügt hinzu: "Und dann wurde noch ein großer Teil dieser 6 Millionen Dollar für die Erforschung von Erschöpfung ausgegeben, die mit dem Chronischen Erschöpfungssyndrom nichts zu tun hat." Um der Sache noch eins draufzusetzen, ergaben Dokumente, die aufgrund eines Antrags von CFS-Aktivisten nach dem Freedom of Information Act[2] freigegeben wurden, dass die CDC zwischen 1995 und 1998 12,9 Millionen Dollar, die für die CFS-Forschung bestimmt waren, für andere Projekte verwendet hatte und diese Ausgabenpolitik gegenüber dem Kongress auch noch falsch dargestellt hatte.

    Unter dem starken Druck von Patientenvertretern, insbesondere der CFIDS Association of America, der größten Patientenvereinigung der USA, stellten die CDC die falsch zugeteilten Gelder in den Haushaltsjahren 2002 und 2003 erneut zur Verfügung und starteten schließlich doch größere Forschungsanstrengungen. Dennoch betrug die Forschungsförderung durch die NIH und die CDC laut CFIDS Association im Jahr 2003 nur 16 Millionen Dollar und geht zur Zeit noch zurück. Dennoch sind die gegenwärtigen Aktivitäten der zentralen Gesundheitsbehörden bedeutsam. Die Hauptziele der CDC sind zu verstehen, ob es sich bei CFS um eine oder mehrere Krankheitsentitäten handelt, den natürlichen Verlauf der Erkrankung und das klinische Bild zu bestimmen, die Angehörigen der Gesundheitsberufe über CFS zu informieren und die Pathophysiologie (den Krankheitsprozess) sowie verursachende Faktoren und Risikofaktoren zu identifizieren.

    Einige der gerade laufenden Studien beobachtet man mit großem Interesse. Bells Stimme hebt sich vor Begeisterung, wenn er sie beschreibt. "Eine davon war die Dubbo-Studie, die die CDC durchgeführt haben. Eine außerordentliche Studie. Ganz großartige Wissenschaft. Was sie da machen, ist folgendes: in dem australischen Landkreis Dubbo führen sie eine Prospektivstudie durch, bei der sie alle Fälle von Epstein-Barr-Virus, Ross-River-Virus und Q-Fieber untersuchen, also Krankheiten, die dafür bekannt sind, dass sie manchmal chronische Nachwirkungen haben. Und sie sehen jetzt, dass 10 Prozent dieser Leute in der Folge der ursprünglichen Infektion ein Chronic Fatigue Syndrome entwickeln. ... Das bedeutet, dass diese drei Infektionen bei Menschen, die ansonsten gesund wären, CFS verursachen. Das ist sehr interessant."

    David Bell fährt fort: "Die andere Studie, die mir sprichwörtlich die Schuhe auszog, war die über Hepatitis C. Das war eine Studie, die von einem Hepatitis-Spezialisten durchgeführt wurde, der Hepatitis C mit Interferon behandelte, einem Protein, das Teil der antiviralen Reaktion des Körpers ist. ... Siebzig Prozent entwickelten eine massive Erschöpfung, und 30 Prozent entwickelten ein Chronic Fatigue Syndrom. Es war also die Interferonbehandlung, die das CFS verursachte, nicht das tatsächliche Virus, das sie in sich hatten. ... Das CFS ist also die Reaktion des Immunsystems auf eine Infektion." Dieses Ergebnis stimmt mit der Vorstellung überein, dass die Symptome des CFS von einem Immunsystem ausgelöst sein könnten, das übersteuert ist.

    Eine zentrale Komponente der Forschungsanstrengungen der CDC ist der Einsatz der Microarray-Technologie, um das genetische Material der Menschen mit CFS zu analysieren. Die Forscher nehmen eine Blut- oder Gewebeprobe, tragen diese auf ein Glasplättchen – dem sogenannten Microarray – auf, mit denen mehr als 20.000 Gene identifiziert werden können. Damit sind sie in der Lage zu bestimmen, welche der Gene in der Probe "expremiert" sind, d.h. an- oder abgeschaltet oder herauf- oder herunterreguliert sind. Dieses Genexpressionsprofil öffnet ein Fenster zum Verständnis des Krankheitsprozesses.

    Die Mikrobiologin Suzanne Vernon, Teamleiterin des Programms zur molekularen Epidemiologie der CDC, erklärt: "Wir setzen sehr aufschlussreiche molekulare Technologien ein, um zu verstehen, was bei den Menschen mit CFS falsch läuft. Wir haben versucht, uns auf das Aufspüren biologischer Marker zu konzentrieren, die uns dann helfen, die Pathophysiologie des CFS genauer zu verstehen und darüber hinaus vielleicht sogar einen diagnostischen Marker zu finden." Seit 1988 beruhte die Diagnose des CFS auf den Symptomen, die der Patient präsentierte und auf dem Ausschluss anderer Erkrankungen, die ebenfalls chronische Erschöpfung hervorrufen. Es wäre ein entscheidender Schritt vorwärts, wenn wir einen diagnostischen Marker finden würden, eine messbare biologische Anomalie, die bei allen Menschen mit CFS auftritt.

    Bei seinen Vorarbeiten war Vernons Team in der Lage, mit Hilfe der Microarray-Technologie zwischen Menschen mit CFS und gesunden Kontrollpersonen zu unterscheiden. In jüngerer Zeit gelang es ihnen, Unterschiede zwischen verschiedenen Menschen mit CFS aufzuzeigen und damit zu bestätigen, dass CFS eine heterogene Erkrankung ist. Bei der Untersuchung von jeweils 3.800 Genen bei 23 Frauen fanden sie heraus, dass Patienten mit einem plötzlichen Krankheitsbeginn (innerhalb einer Woche) ein anderes Genexpressionsprofil hatten, als diejenigen mit allmählichem Beginn (im Verlauf mehrerer Monate). Mit weiteren Studien hoffen die Forscher nun, ein Genexpressionsmuster zu finden, das bei allen Menschen mit CFS vorkommt. Vielleicht finden sie dabei auch besondere Muster, die für bestimmte Untergruppen spezifisch sind. Irgendwann könnte die Microarrayanalyse ein Routinetest zur Diagnose des CFS werden.

    Noch ehrgeiziger sind die Anstrengungen des Teams im Hinblick auf die Integration dieser Genexpressionsdaten mit epidemiologischen Daten – also Alter, ethnische Zugehörigkeit, Geschlecht – und Laborbefunden wie Blut- und Urinanalysen. "Wir haben gerade alle Genexpressionsprofile abgeschlossen, die wir in einer Studie in Wichita in Kansas durchgeführt haben. Innerhalb von zwei Tagen haben wir 250 Personen getestet," sagt Vernon. "Wir konnten jeweils 20.000 Gene von 177 Studienteilnehmern untersuchen und sehen uns jetzt deren Genexpressionsprofile an."

    Die Teilnehmer der Wichita-Studie, zu denen Menschen mit CFS und gesunde Kontrollpersonen gehören, wurden mit einer Batterie von neuroendokrinen und immunologischen Testverfahren, mit Schlafstudien und Tests zu kognitiven Funktionen untersucht. "Wir haben wirklich eine sehr umfangreiche und unglaublich komplexe Datensammlung," sagt Vernon. "Wir versuchen nicht nur zwei Dinge miteinander in Verbindung zu bringen, sondern viele gleichzeitig. So gleichen wir zum Beispiel das Ausmaß ihrer körperlichen Symptome wie Erschöpfung, kognitive Beeinträchtigungen und Schlafprobleme mit anderen Laborparametern sowie mit den Genexpressionsbestimmungen ab."

    Vernon hat vier Teams mit jeweils sechs Forschern zusammengestellt, die die verschiedensten Disziplinen abdecken – von der Medizin, der Molekularbiologie, der Mathematik und Physik bis hin zu Computerwissenschaften –, um die Datenmengen der Wichita-Studie auszuwerten und damit das Verständnis der Pathophysiologie des CFS zu erweitern. "Unsere Forschergruppe ist eine der wenigen multidisziplinären Gruppen, die das Chronic Fatigue Syndrom untersuchen. ... Ich glaube, unserem Forscherteam ist klar, dass das der Weg ist, CFS zu heilen. ... Weil diese Erkrankung so komplex ist, muss man viele Perspektiven einnehmen, um sie zu untersuchen."

    Wie nahe sind wir denn einem solchen diagnostischen Marker? Vernon zögert einen Moment. "Ich würde sagen - ich hoffe, dass wir nahe dran sind." Sie lacht. "Ich will Ihnen keine Daten verraten, weil sonst alle Leute in meinem Labor in Panik geraten würden."

    Ein anderes langfristiges Ziel ist es, eine wirkungsvolle Behandlung für CFS zu finden. "Ist das nicht der Traum eines jeden Wissenschaftlers?" sagt Vernon. Mit einem vertieften Verständnis des Krankheitsprozesses können eines Tages gezielte therapeutische Interventionen möglich werden. Aber zur Zeit beschränkt sich die Behandlung des CFS noch auf die Kontrolle der Symptome wie Schmerzen oder Schlafstörungen. Aber diese symptomatische Behandlung zielt noch nicht auf den zugrundeliegenden Krankheitsprozess, der, so sagt Vernon, "die Menschen schließlich vielleicht den Rest ihres Lebens begleitet."

    Was geschah mit der Frau, die Jessop im Jahr 1984 als erste Betroffene in ihrer Klinik sah? "Ich traf sie zufällig vor ungefähr einem Jahr," sagt Jessop, die jetzt als Verwalterin verschiedener Kliniken in der East Bay tätig ist. "Sie hat nie wieder den Gesundheitszustand erreicht, den sie vor ihrer Erkrankung hatte, aber ich glaube, es ging ihr trotzdem viel besser. Auf jeden Fall war sie wieder aus dem Bett heraus und konnte dies und jenes tun." Genau wie dieser Frau geht es der Mehrheit der Menschen mit CFS im Laufe der Zeit allmählich besser, aber nur schätzungsweise 10 Prozent werden wieder vollständig gesund. Bei vielen verändert sich nichts, und manchen geht es im Laufe der Zeit sogar schlechter. Die Frage, wer sich erholen wird und wann dies geschehen wird bleibt offen.


    Wie wird CFS diagnostiziert?

    Klinisch gesicherte, ungeklärte chronische Erschöpfung kann als Chronic Fatigue Syndrom eingestuft werden, wenn der Patient die folgenden Kriterien erfüllt:

    1. Klinisch gesicherte, ungeklärte, persistierende oder rezidivierende chronische Erschöpfung, die neu oder zeitlich bestimmbar eingesetzt hat (und nicht bereits lebenslang besteht); die nicht Folge einer noch anhaltenden Überlastung ist; die sich nicht wesentlich durch Ruhe bessert; und zu einer substantiellen Reduktion des früheren Niveaus der Aktivitäten in Ausbildung und Beruf sowie im sozialen oder persönlichen Bereich führt.

    2. Das gleichzeitige Auftreten von vier oder mehr der folgenden Symptome: erhebliche Beeinträchtigung des Kurzzeit-Gedächtnisses oder der Konzentration, Halsschmerzen, schmerzhafte Lymphknoten, Muskelschmerzen, Gelenkschmerzen ohne Schwellungen oder Rötungen, eines neuen Typs, Musters oder Schweregrades, nicht erholsamer Schlaf und Schlafstörungen, eine Zustandsverschlechterung nach Anstrengung, die länger als 24 Stunden anhält. Diese Symptom müssen alle für mindestens 6 aufeinanderfolgende Krankheitsmonate persistierend oder rezidivierend nebeneinander bestanden haben und dürfen der Erschöpfung nicht vorausgegangen sein.

    Wer erkrankt an CFS?

    An CFS erkranken Menschen aller Altersklassen und aller ethnischen und sozioökonomischen Gruppen. Die meisten Erkrankten in den USA sind Frauen zwischen 40 und 49 Jahren, aber es erkranken auch Männer, Frauen und Kinder aller Altersgruppen. Bei Frauen kommt CFS häufiger vor als Multiple Sklerose, Lupus erythematodes, HIV-Infektionen, Lungenkrebs und viele andere bekannte Erkrankungen.

    Erholen sich Menschen mit CFS wieder?

    Eine vollständige Erholung tritt nur bei schätzungsweise 10 Prozent der Betroffenen ein, wobei die Chance zur Erholung innerhalb der ersten fünf Jahre der Erkrankung am größten zu sein scheint. Manche Menschen schwanken zwischen Perioden relativer Gesundheit und Krankheit hin und her, und manchen geht es im Laufe der Zeit schlechter. Anderen wiederum geht es weder schlechter noch besser, während manche sich allmählich etwas erholen, aber nie wieder vollständig gesund werden.

    Diese Informationen sind einer Broschüre mit dem Titel "Introducing CFIDS" entnommen, die von der CFIDS Association of America veröffentlicht wurde. Die Broschüre kann unter folgender Rufnummer der CFIDS Association bestellt werden: (704) 365-2343.

    ***********

    Dieser Artikel von Dorothy Wall erschien zum ersten Mal im San Francisco Chronicle vom 5. Juni 2005: http://sfgate.com/cgi-bin/article.cgi?file=/c/a/2005/06/05/CMG3NCLBC81.DTL

    Wenn Sie diesen Artikel weitergeben oder reproduzieren, fügen Sie bitte folgende Information hinzu:

    Erste Veröffentlichung im San Francisco Chronicle Magazine, 5. Juni 2005.
    Copyright © 2005, Dorothy Wall.
    Alle Rechte vorbehalten.

    Darf reproduziert werden, wenn dieses Copyright eingefügt wird. Bei elektronischer Wiedergabe bitte diesen Link einfügen: www.DorothyWall.com

    [1] Dorothy Wall ist Autorin des Buches “Encounters with the Invisible: Unseen Illness, Controversy, and Chronic Fatigue Syndrome," das im Herbst 2005 von der Southern Methodist University Press herausgegeben wurde. Einzelheiten und Möglichkeiten zur Bestellung finden Sie hier:  www.DorothyWall.com

    Eine Buchbesprechung sowie die Übersetzung der Einleitung des Buches finden Sie im Artikel des Monats April 06 Teil I.

    [2] [Anm. d. Ü.: Gesetz über die Auskunftspflicht öffentlicher Einrichtungen]